Was ist an Karate so besonders?

(von Marc Janott, Oktober 2015)

Wenn Leute mitbekommen, dass ich leidenschaftlich Karate betreibe, fragen sie manchmal, was ich am Karate denn eigentlich so reizvoll finde.

Meine erste Reaktion ist meistens: „Wieviel Zeit haben wir?“ – Karate hat so viele spannende Aspekte. Wo soll ich da anfangen?

Ich erkläre ihnen, wie schön ich es finde, im Karate mit so vielen freundlichen Menschen zusammenzukommen, wie sehr ich das gesunde Workout schätze, das den gesamten Körper einbezieht, oder wie es mich fasziniert, dass Karate-Techniken nicht nur gute Übungen darstellen, sondern sie immer auch einen Sinn haben.

Was mich am Karate jedoch am meisten fesselt, ist Kata.

Was ist Kata?

Kata ist die vermutlich wichtigste Besonderheit des Karate.

Eine Kata ist ein vorgegebener Ablauf von Bewegungen, eine Choregraphie von etwa 20-60 Techniken.

Die Katas des Karate sind Überlieferungen der alten Meister Okinawas. Sie bilden den Kern, das Wesen der Kunst des Karate. Die alten Meister setzten Karate mit Kata gleich: „Karate beginnt mit Kata und endet mit Kata.“ (Mabuni) Für sie waren Karate und Kata im Grunde ein und dasselbe.

Sie legten nicht nur Wert darauf, die Bewegungen einer Kata zu meistern, sondern die Bedeutung der Kata zu verstehen, denn jede Kata ist ein eigenständiges System von Prinzipien und Techniken zur Selbstverteidigung.

Was ist denn nun so großartig an Kata?

Aha, danke für die Frage.

Hier kommen ein paar Gründe, warum ich Kata für eine wunderbare Trainingsmethode halte:

  1. Katas enthalten geballtes Wissen der Kampfkunst Karate in kompakter Form. Sie sind die traditionellen Lehrpläne des Karate.
  2. Katas sind kompakte Zusammenfassungen von Bewegungsmustern, um diese zu erlernen, sich zu merken, bezug zu nehmen und weiterzugeben.
  3. Katas stellen Drills bereit, um Bewegungsmuster in die Bewegungserinnerung (Muscle-Memory) einzuschleifen.
  4. Katas bestehen aus erprobten wirkungsvollen Methoden zur zivilen Selbstverteidigung.
  5. Katas setzen sich aus Techniken aus dem gesamten Spektrum der Kampfkünste zusammen: Parrieren, Blocken, Stoßen, Schlagen, Treten, Greifen, Halten, Befreien, Hebeln, Würgen, Werfen, sogar Kratzen, Klemmen, Pieksen. All das unter Verwendung von Zielregionen, die maximalen Effekt ermöglichen (Vitalpunkte / Kyusho).
  6. Katas zeigen Prinzipien anhand repräsentativer Beispiele auf.
  7. Katas bieten Vorlagen für Partner-Training-Drills.
  8. Katas sind perfekt, um Kampfprinzipien auch ohne Partner allein zu trainieren.
  9. Katas kann man jederzeit und überall üben – ohne besondere Voraussetzungen – ob zuhause, im Hotel, am Strand oder nur im Kopf.
  10. Katas geben uns die Möglichkeit, die Techniken voll durchzuziehen (Geschwindigkeit, Endpunkt, Intensität) ohne einen Partner zu verletzen. (Im Partnertraining muss man immer zurückhaltend bleiben, um den Partner nicht zu verletzen.)
  11. Katas definieren die Idealform des Bewegungsbildes. Wir können einzelne Techniken oder Sequenzen isolieren und trainieren, um optimale Stabilität, Power, Winkel, Geschwindigkeit, Körpereinsatz und Ähnliches zu entwickeln.
  12. Katas gibt es in großer Zahl. Dadurch haben wir eine breite Auswahl unterschiedlicher Lernansätze und Methoden-Systeme, so dass für jeden Menschen ein geeignetes System dabei sein dürfte.
  13. Katas bieten eine intellektuelle Herausforderung. Das Analysieren und Interpretieren von Kata-Bewegungen erfordert Forschergeist, logisches Denken, Vorstellungskraft und Kreativität.
  14. Katas haben eine Geschichte, die mit der Kultur und Geschichte Japans, Okinawas und Chinas verbunden ist. Das bietet Gelegenheit, sich umfassend mit diesem Thema zu beschäftigen.
  15. Katas sind hervorragend als gesundes, ergonomisches Workout geeignet.
  16. Katas können als Mediation in der Bewegung erlebt werden.
  17. Katas weisen ein ästhetisches Bewegungsbild auf, das sich auch für athletische Darbietungen anbietet, wie z.B. im Kata-Team-Wettkampf.
  18. Katas sind eine Möglichkeit, das Methodenprogramm im Training gleichzeitig an viele Teilnehmer zu vermitteln (auch wenn die Katas dafür ursprünglich nicht vorgesehen waren, da die Meister auf Okinawa damals nur einzelne Schüler unterrichteten).
  19. Katas bieten eine große Bandbreite interessanter Koordinationsaufgaben, deren Ausübung aufgrund ihres einzigartigen Bewegungsgefühls sehr viel Spaß macht.
  20. Katas sind eine Trainingsform, die für jedes Alter geeignet ist und die in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und mit unterschiedlichen Lernzielen verletzungsfrei trainiert werden kann.
  21. Katas erlauben es, dass viele Trainierende mit unterschiedlichem Leistungsstand gemeinsam trainieren. Sie können sich individuell entwickeln und doch eine gemeinsame Erfahrung machen, die als Gemeinschaft verbindet.

Inwieweit wir das immense Potential der Katas tatsächlich nutzen, liegt an uns. Das hängt ab von unseren Zielen und Interessen und auch von der Kompetenz unserer Trainer.

Aber es ist diese einzigartige Kombination wertvoller Möglichkeiten, die Kata und somit Karate für mich so attraktiv macht.