Zum Sinn der Gürtelfarben im Karate

(von Marc Janott, April 2015)

Prüfung geschafft. Ein neuer Gürtel muss her. – Mit der neuen Farbe um den Leib geht es dann wieder ins Training. - „Steht dir gut. Herzlichen Glückwunsch.“

Aber wozu braucht man eigentlich einen neuen Gürtel in einer anderen Farbe? Der alte Gürtel hielt die Jacke doch auch gut zusammen.

Gürtelfarben im Karate können

  • organisatorische,
  • psychologische und
  • soziale

Bedeutung haben. Also schauen wir uns die drei Punkte näher an...

Organisatorisch

Karate-Gürtel für Schülergrade gibt es in weiß, gelb, orange, grün, blau und braun.

Im Karate trainieren alle gemeinsam, aber jeder nach seinem persönlichen Leistungsstand. Im Training kommt es dabei häufig vor, dass ich als Trainer den erfahreneren Teilnehmern komplexere Aufgaben gebe als den Anfängern. Die Gürtelfarben erleichtern mir dabei das Verteilen der Aufgaben: „Alle von Weiß bis Grün machen bitte A. Blau und Braun machen B. Schwarz macht C.“

Die Teilnehmer über ihre Gürtelfarben in Gruppen einzuteilen, ist dabei für Trainer und Teilnehmer einfacher als die Kyu-Grade zu nennen. „Alle von Weiß bis Grün“ ist leichter aufzufassen als „Alle vom 9. bis zum 6. Kyu.“

Die Farbeinteilung ist dabei vor allem für größere Trainingsgruppen hilfreich. Wenn die Gruppe aus nur aus einer handvoll von Teilnehmern besteht, kann ich sie auch namentlich ansprechen. Wenn alle Teilnehmer in etwa auf demselben Leistungsstand sind, oder wenn ohnehin alle dasselbe machen sollen (z.B. beim Aufwärmen), dann braucht man ebenfalls keine Gürtelfarben.

Psychologisch

Ein weiterer Sinn der Gürtelfarben ist Motivation. Sich das Recht zu erarbeiten, den nächsten Gürtel tragen zu dürfen, kann ein hilfreicher Antrieb für's Training sein. Mit dem farbigen Gürtel dokumentiert man nach außen den eigenen Leistungsstand. Besonders Kinder sind motiviert – manchmal allerdings eher deren Eltern.

Doch der Wunsch nach der nächsten Gürtelfarbe kann auch von der technisch-inhaltlichen Entwicklung ablenken. Es ist ein Unterschied, ob ich sage „ich will im Sommer den Blauen Gürtel schaffen“, oder ob ich sage „ich will bis zum Sommer Hüfteinsatz und Atemtechnik verbessern“. Das ist vergleichbar mit dem Wunsch, ein Auto zu besitzen, bzw. Auto fahren zu können.

Andererseits wirkt die Gürtelfarbe auch auf den Gürtelträger zurück: Es fühlt sich anders an, die neue Farbe zu tragen. Wenn man den Gürtel aus der Tasche holt und ihn anlegt, erinnert er einen an die letzte bestandene Prüfung, an die Bestätigung der persönlichen Entwicklung. Er erinnert einen aber auch an die höhere Verantwortung, die man als erfahrenerer Karateka trägt. Nicht zuletzt verbindet man mit den Gürtelfarben auch einen gewissen Leistungsstand und versucht, im Training die Leistung zu bringen, die man allgemein von einem Träger der jeweiligen Gürtelfarbe erwartet.

Obwohl es eigentlich nichts an meinen Fähigkeiten oder Schwächen ändert, welche Farbe mein Gürtel hat, so könnte man doch sagen, dass die Erwartung, die ich selbst oder andere an meine Gürtelfarbe stellen, dazu führt, dass ich motiviert bin, diese Erwartung auch zu erfüllen. Da die Gürtelfarbe den Leistungsstand eben auch nach außen zeigt, versucht man auch, sich dem erwarteten Niveau gemäß zu benehmen und die entsprechende Trainingsdisziplin zu zeigen.

Sozial

Das Recht, eine Gürtelfarbe zu tragen, erwirbt man in der Regel durch eine Prüfung. Die Farbe zeigt, dass die Prüfer die gezeigte Leistung anerkannt haben. Sie ist daher auch ein Zeichen einer sozialen Beziehung – nämlich zu den Prüferinnen und Prüfern.

Karate-Gürtel für Meistergrade gibt es in schwarz, rot-weiß und rot.

Bei höheren Dan-Graden kommt es zuweilen auch vor, dass sie von einem Karate-Verband verliehen werden. Der Karateka wird dann keiner regulären Prüfung unterzogen, sondern der Verband vergibt die Graduierung als Ehrbekundung, z.B. aufgrund einer langjährigen Tätigkeit für den Verband. (Das ist so ähnlich wie die Ehrennadeln in Silber oder Gold, die Verbände wie Sportbund oder Chorsänger langjährigen Funktionsträgern überreichen.)

Für besonders anerkannte Meister wurde ein Gürtel eingeführt, auf denen die Farben Rot und Weiß sich abwechseln, für überragende Meister zusätzlich der rote Gürtel. Diese Gürtel sind für besondere Anlässe gedacht. Im alltäglichen Training tragen die so geehrten Personen überlicherweise trotzdem den schwarzen Gürtel.

Natürlich ergibt das Tragen der Gürtelfarben nur einen Sinn, wenn auch jemand da ist, um die Farben zu sehen. Nur im sozialen Kontext entfalten sie Ihre Bedeutung.

Die äußerliche Unterscheidung der Karateka über ihre Gürtelfarbe widerspricht im Grunde der Idee des einheitlich weißen Karate-Anzugs, nämlich dass alle gleich sind. So kann es z.B. im Dojo (Trainingshalle) vor und nach dem Training zur Grüppchenbildung kommen. Die Schwarz- und Braungurte stehen beieinander, die Weiß- bis Grüngurte stehen beieinander, und die Blaugurte wissen nicht so genau zu welcher Gruppe sie gehören. Für Anfänger kann es einschüchternd wirken, einer Riege von Schwarzgurten gegenüberzustehen. Eventuell scheuen sie sich aufgrund falscher Ehrfurcht davor, diese anzusprechen. Da ist es die Aufgabe der Oberstufen-Karateka besonders auf neue Trainingsteilnehmer zuzugehen und mit ihnen das Gespräch zu suchen.

Die Gürtelfarben können neben Ehrfurcht auch zu Neid und Misgunst führen. „Wie konnte der denn den Braungurt schaffen, der kann doch gar nix.“ oder „Wieso hat die noch den Orangegurt, die hat doch mindestens Blaugurt-Niveau“. Solche Gedanken und Bemerkungen entstehen durch die äußerliche Darstellung der jeweiligen Graduierung. Wenn alle dieselbe Gürtelfarbe hätten, würde nur die sichtbare Leistung beurteilt werden.

Zusammenfassung

Die Gürtelfarben haben ihren Sinn in größeren Gruppen (Vereine, Lehrgänge, Verbände). Sie helfen bei der Organisation des Trainings, und sie dienen der Motivation der Trainierenden. Sie wirken außerdem auch auf die Leistungsbereitschaft und das Verhalten des Gürteltragenden. Anfänger können an den Farben schnell erkennen, wer schon länger dabei ist und eventuell Fragen beantworten kann. Die Gürtelfarben spiegeln die Anerkennung der Leistung innerhalb sozialer Zusammenhänge wider – sowohl des technischen Niveaus als auch ggf. der Verbandstätigkeit. Wie andere Statussymbole auch, können die Gürtelfarben zu Grüppchenbildung oder gar Neid führen. Es ist Aufgabe der erfahreneren Karateka, durch ihr Verhalten den positiven Sinn der Gürtelfarben zu unterstützen und den negativen Auswirkungen vorzubeugen.

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