Kumite – Hand in Hand mit dem Gegner
(von Marc Janott, Juni 2015, überarbeitet Juni 2016)
Teil 8 von 8: Shotokan Kyohan Kumite
Nachdem wir nun eine Auswahl unterschiedlicher Kumite-Arten zusammengestellt haben, wäre es da nicht interessant, mal zu schauen, wie das traditionelle Shotokan-Kumite ausgesehen hat?
Die Stilrichtung Shotokan bezieht sich namentlich auf Gichin Funakoshi; denn sein Künstlername war „Shoto“. Er lehrte Karate in einem Dojo-Gebäude, welches von seinen Schülern extra für seinen Unterricht errichtet wurde. Das Gebäude nannten sie „Shoto-Kan“ (das Shoto-Haus).
In seinem Buch „Karate-Do Kyohan“ erklärt Funakoshi, wie nach seiner Auffassung Karate mit einem Partner geübt werden sollte. Ich denke, dass wir davon ausgehen dürfen, dass das Shotokan-Kumite unter Gichin Funakoshi eben dieser Beschreibung folgte. Immerhin heist sein Buch Kyohan (教範), was „Lehrmethode“ bedeutet.
Gichin Funakoshi zum Thema Shotokan-Kumite
Werfen wir doch einen Blick auf einige Zitate aus „Karate-Do Kyohan“ und ein paar anderen Quellen. Anschließend gebe ich eine kurze Zusammenfassung von Funakoshis Vorstellung von Kumite, gefolgt von weiteren Beobachtungen.
Funakoshi: Kumite ist Kata-Training mit Partner
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Sparring (kumite) ist eine Übungsform, die verwendet wird, um offensive und defensive Techniken, die man in den Katas übt, unter realistischeren Bedingungen anzuwenden. In dieser Übungsform spricht man sich vorher ab, und dann wendet einer offensive und der andere defensive Techniken an.
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Es muss betont werden, dass Sparring nicht ohne die Kata existiert, sondern um die Kata zu üben.
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Ich empfehle, dass man den Schwerpunkt auf das Üben von Kata legt und erst in zweiter Linie für das Sparring trainiert [um zu vermeiden, dass man sich auf seine bevorzugten Spezialbewegungen konzentriert während man andere vernachlässigt].
Funakoshi: Kumite ist ein Weg zum Verstehen der Kata
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Für einen spritzigen jungen Mann mag es schwer sein, den Zweck von Kata zu verstehen, und so wird er es interessant finden, nachdem er ein gewisses Leistungsniveau in der Kata erreicht hat, sich im Sparring auszuprobieren, falls er einen angemessenen Partner und eine geeignete Trainingsfläche finden kann.
Funakoshi: Kumite ist Selbstverteidigungs-Training
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Man sollte zuerst Katas und grundlegende Techniken üben und sich zu gegebener Zeit hocharbeiten zu Sparring-Übungen, wenn man erfahrener/gewandter wird. Dabei sollte man sich Situationen vorstellen, [denen man] am häufigsten [begegnet], und diese fortwährend üben, so dass man einer gefährlichen Situation ohne Schaden entkommen kann.
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Wenn man übt, sollte man sich mannigfaltige Situationen vorstellen […]. Der Angreifer mag die Handgelenke packen, Kleidung, Hals oder andere Teile des Körpers, und man muss sich aus seinem Greifversuch befreien und unmittelbar einen Gegenangriff abliefern. Was man sich also merken muss, ist die Schnelligkeit des Gegenangriffs, welcher nahezu gleichzeitig ausgeführt wird, während man sich aus dem Griff des Angreifers befreit. […] – Befreiungstechniken können benutzt werden gegen Greifangriffe von vorn, von der Seite und von hinten. Angriffe von vorne können solche Techniken beinhalten wie Greifen des Handgelenks, beider Handgelenke, des Kragens, der Haare oder Umklammerungen usw., und seitliche Angriffe wie Greifen des Handgelenks und Greifen des Halses, auch Angriffe von hinten können aus ähnlichen Techniken bestehen, etwa Greifen des Handgelenks, Greifen des Kragens, Umklammerung usw. Es mag vorkommen, dass mehrere Angreifer von beiden Seiten angreifen oder von vorn und hinten. Alle Situationen bedenkend, denke immer über solche Angriffe nach und übe die Abwehr.
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Im Karate sind Schlagen, Stoßen und Treten nicht die einzigen Methoden; Wurf-Techniken und Druck gegen Gelenke sind ebenfalls enthalten.
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Wenn man sich durch Übung genügend Fähigkeiten angeeignet hat, sollten Schwert, Dolch, Stock und so weiter durchaus im Übungsbetrieb benutzt werden, um die Techniken gegen diese Waffen zu lernen und um sich mental gegen sie vorzubereiten.
Funakoshi: Kumite ist kein Sport
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Eine Eigenschaft zeichnet Karate also solches aus, nämlich dass es eben nicht kommerzialisiert oder für den Wettkampf angepasst werden kann. Hierin liegt die Essenz des Karate-Do, da es nicht mit Schutzausrüstung oder durch Vergleichswettkämpfe verwirklicht werden kann.
Kenei Mabuni berichtet in seinem Buch „Leere Hand“ von seinem Vater Kenwa Mabuni (Begründer des Shito-Ryu) und Gichin Funakoshi:
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Ursprünglich, auf Okinawa, gab es im Karate keinen Wettkampf, auch nicht das, was man heute freies kumite nennt, also randori-Übungswettkämpfe, bei denen man Techniken frei einsetzen kann. Bei meinem Vater [Kenwa Mabuni] war so etwas strikt verboten. Das war auch unter Meister Funakoshi so, der damit seinen okinawanischen Lehrern folgte. Charakteristisch hierfür ist ein Vorfall an der Tokio-Universität, der sich Ende des 20er Jahre ereignete. Der dortige Karateverein schlug ein „Realkampf-Karate“ vor, bei dem auch Schutzkleidung getragen werden sollte. Meister Funakoshi lehnte das ab und veranlaßte den Rücktritt des Verantwortlichen.
Karate = Kata = Kumite = Selbstverteidigungs-Training
Funakoshi betont in „Karate-Do Kyohan“ und anderen Werken wie „Karate-Do My Way of Life“ or „The Essence of Karate“ wiederholt, dass Karate und Kata ein und dasselbe sind, und wie wichtig es ist, die Katas als Selbstverteidigungs-Systeme zu verstehen. Es sah das Kumite als Unterstüzung des Kata-Trainings an.
- Kumite als traditionelle Trainingsmethode im Shotokan ist eine Form der Partnerarbeit zum Lernen von Selbstverteidigungs-Methoden, die auf Karate-Katas basieren.
Dies entspricht weitgehend dem zuvor beschriebenen Konzept des Kata-Oyo Bunkai-Kumite.
Darüberhinaus betont Funakoshi in seinen Werken wiederholt, wie wichtig Sanftmut und Nachgeben sind, um Konflikte zu vermeiden. Er sagte seinen Schülern wiederholt, dass es besser ist einem Kampf aus dem Weg zu gehen. Daher vermute ich, dass er wahrscheinlich auch so etwas wie Selbstverteidungs-Scenario-Training gutgeheißen hätte, denn es lehrt, Situationen mit Konfliktpotential zu erkennen und einzuschätzen und sowie seine verbalen und physischen Fähigkeiten angemessen einzusetzen.
Da Funakoshi jegliche Art von Wettkampf im Karate entschieden ablehnte, sind allseits beliebten Formate Wettkampf-Kumite and Kata-Wettkampf Bunkai-Kumite offensichtlich kein traditionelles Shotokan. Tatsächlich wurde die erste All Japan Karate Championship erst im Oktober 1957 ausgetragen, sechs Monate nachdem Funakoshi verstorben war (vergleiche Wikipedia-Artikel zur JKA).
Um es in eine einfache Formel zu fassen:
- Karate = Kata = Kumite = Selbstverteidigungs-Training
Mit dieser Position lag Meister Funakoshi auf einer Linie mit den anderen Karate-Meister von Okinawa, seinen eigenen Lehrern und den alten Meistern.
Kihon-Kumite im Historischen Shotokan-Dojo
Und was ist mit Kihon-Kumite? Wie stand Funakoshi dazu?
Also, der Karate-Historiker Henning Wittwer schreibt in seinem Buch „Historische Untersuchungen zum Shotokan Band II“:
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Die Entstehung des Gohon-Gumite und Sanbon-Gumite spielte sich urspünglich also an den Karate-Klubs der Universitäten ab, an denen wiederum dem jeweiligen Klub eigene „Arten“ dieser Übungsform entstanden. Funakoshi war von dieser Schöpfung augenscheinlich zu angetan, dass er sie nicht nur auf seine Kumite-Formen anwendete, sondern ausdrücklich das Drei [Techniken] Kumite (Sanbon-Gumite) als Prüfungsfach (Shiken Kamoku) für Prüfungen bis zur dritten Stufe (Sandan) in seinem Shotokan-Dojo aufnahm. Daneben war das Ein [Technik] Kumite (Ippon-Gumite) ein erforderliches Prüfungsfach im Shotokan.
Obwohl einige der Bewegungen in den modernen Kihon-Kumite-Formen noch Bewegungen aus Katas ähneln, sind sie doch insgesamt von den taktischen Konzepten und Anwendungen der Katas meilenweit entfernt oder stehen sogar im Widerspruch zu ihnen (ein Thema für einen anderen Artikel).
In der 1958er Ausgabe von Karate-Do Kyohan finden wir dann sogar mehrere Formen von Kihon-Kumite, nämlich Ten no Kata Ura, Sanbon-Kumite, Ippon-Kumite, Fußtritt-Übungen, freie Übungskämpfe, Iai und Wurftechniken.
Man beachte, dass Funakoshi diese Formen nicht als aufeinander aufbauende Stufen von Kumite präsentiert. Stattdessen erklärt er, dass jede Form ein anderes Trainingsziel hat. Zum Beispiel geht es bei Ten no Kata Ura hauptsächlich um Ernsthaftigkeit und Distanz, während es beim Sanbon-Kumite um Intention und Wachsamkeit geht, und im Ippon-Kumite geht es um intuitives Handeln und Konter-Aktionen. – Ich vermute, dass er die freien Übungskämpfe nur deshalb aufgeführt hat, weil er zugestehen musste das sie in den 1950er Jahren inzwischen nun mal weit verbreiten waren. Er hebt die Ähnlichkeit von Karate-Übungskämpfen mit den Übungswettkämpfen anderer Kampfkünste hervor.
Alles in allem scheint er nicht die exakte Choreographie des Kihon-Kumite nicht so streng zu sehen, denn er führt aus: „Die Aufmerksamkeit sollte nicht dadurch abgelenkt werden, dass man sich mit der Korrektheit der Form beschäftigt“ (Seite 216). Er ermutigt uns auch „mit anderen Übungskampf-Techniken zu experimenieren und diese zu üben, als auch Folgen unterschiedlicher Arten von Angriffen und Annahmen zu üben“ (Seite 222).
Zum Thema Shotokan Kyohan Kumite überlassen wir am besten Gichin Funakoshi das letzte Wort:
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Karate sollte, um das abschließend nochmal zu sagen, geübt werden mit Kata als Hauptmethode und Sparring als unterstützende Methode.